Wie wir vielleicht noch die Kurve kriegen können

Peter Staubs Buch «Die blaue Revolution» vermittelt Denkanregungen für die Abwendung der Klimakatastrophe.

Michela Seggiani in «VPOD Bildungspolitik», Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft, April 2021

Die Klimakonferenz in Paris ist bereits sechs Jahre her. Und doch wurden seit- dem keine oder kaum Massnahmen gegen die rasante Erderwärmung ergriffen. Was ist los? Wir alle wollen den Planeten noch möglichst lange erhalten.
Dennoch scheint die Gleichgültigkeit gross und der Wille, etwas am eigenen Lebensstil zu ändern, relativ klein.
Da kommt das Buch von Peter Staub mit der Idee einer «Blauen Revolution» gerade richtig. Sein Buch formuliert eine Vision, wie wir die Klimakatastrophe abwenden und die Erde als für Menschen lebbaren Wohnraum erhalten können.

Vereinigte Staaten der Welt

Da die Zeit knapp ist, braucht es allumfassende Veränderungen. Und damit diese Erkenntnis in der Mitte der Gesellschaft an- kommt, braucht es eine Revolution. «Blau» ist sie, weil sie sich auf den blauen Planteten bezieht und damit die globale Dimension der Revolution aufzeigt. Mit der Blauen Revolution will Staub nicht nur die Klima- erwärmung stoppen, sondern die Welt auch zu einem besseren Ort für alle Menschen machen. Wohlhabende sollen ihren materiellen Ballast abwerfen (müssen) und das solidarische Zusammenleben soll, mit Hilfe eines Souveräns, den die Bevölkerung selbst bildet, neu entdeckt werden. Alle bisherigen politischen Systeme müssen überwunden und mit einem globalen, demokratischen System ersetzt werden. Mit der Blauen Revolution soll eine «gerechte, soziale und umweltverträgliche Verfassung für die Vereinigten Staaten der Welt» erreicht werden. Im Kapitel «Eine Nation – eine Demokratie» zeigt Staub auf, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung auch eine Chance ist, die Machtstrukturen zu verändern und eine demokratische und solidarische Welt zu gestalten. Mit vielen Hinweisen auf Forschungserkenntnisse macht der Autor klar, was Fakt ist in Sachen Klima, wie die ökologischen und sozialen Probleme zusammenhängen und dass es für die existentiellen globalen Probleme auch globale Lösungen braucht.
Darauf geht er dann im nächsten Kapitel eingehender ein und macht deutlich, dass die Zeit drängt, die Lebensformen der Menschheit grundlegend zu verändern.
Das Schweizer Modell der Direkten Demokratie dient, in verbesserter Form, als Vorbild für die globale Demokratie. Im Weiteren werden die Themen der Entstehung der Demokratie, die Entwicklung der Schweizer Demokratie und der Kampf um Frauenrechte detailliert in jeweils eigenen Kapiteln erläutert. Diese Teile bilden einen guten Überblick in Staats-und Geschichtskunde und können als Basis dienen, darauf Diskussionen und Pläne aufzubauen, wie Klimagerechtigkeit und Chancengleichheit weiter vorangetrieben werden kann. Auch zeigt Peter Staub deutlich die Verbindung zwischen Klima, Machtstrukturen, Flucht und Migration auf. Die zwei letzten Kapitel weisen in die Zukunft und beschäftigen sich mit der Möglichkeit einer nachhaltigen Wirtschaft und der Richtungsweisung für die nächsten Schritte, die Revolution voranzutreiben. Das Buch eignet sich hervorragend, sich einen Überblick zu verschaffen über aktuelle Kenntnisse zur Klimapolitik und die Geschichte der Demokratie. 

Die Corona-Krise, die die Schweiz erreichte, während Peter Straub sein Buch verfasste, veranschaulicht die Notwendigkeit von grundlegenden Veränderungen umso mehr: 

«Covid-19 ändert nichts daran, dass wir globale Antworten auf globale Fragen brauchen. Im Gegenteil: Die Corona-Krise hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie eng verbunden wir auf der ganzen Welt sind. Und dass nationale Antworten auf globale Fragen ungeeignet sind, die Probleme tatsächlich zu lösen.» 

Fragen, die sich stellen 

Nach der Lektüre ist mir aber noch nicht klar, wie erreicht werden kann, dass Machtansprüche und Vermögen gerecht und ohne Gewalt aufgeteilt werden können unter allen Menschen, denn darauf geht Peter Staub kaum ein. Wie schaffen wir es, dass die Mächtigen und Superreichen bereit sind, ihre Macht abzugeben? Die Idee eines «partizipativen Sozialismus» von Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, in dem die Reichsten bis zu 90 Prozent Steuern bezahlen müssen, scheint mir nicht alleine durch die Blaue Revolution umsetzbar. Schon die Idee von «altem Geld» prägt gerade in der Schweiz ein immenses Selbstverständnis von vererbtem und (vermeintlich) zu Recht erworbenem Reichtum, das in Frage zu stellen nicht nur in der Politik regelmässig für Empörung sorgt. Hier würde mich ein konstruktiver Lösungsansatz sehr interessieren. 

In diktatorisch geführten Ländern ist teilweise alleine die Auseinandersetzung mit der Idee einer Revolution lebensgefährlich. Diese Länder, sprich deren Machthaber davon zu überzeugen, sich einer Blauen Revolution friedlich zu beugen, ist ein Ziel, das ich für nicht umsetzbar halte. Was aber nicht heisst, deshalb gleich die Flinte ins Korn werfen zu müssen. Denn hier könnten die digitalen Möglichkeiten einer Revolution(- sunterstützung) zum Tragen kommen, die im Buch mehr Platz verdient hätten. 

Los geht’s! 

Der Autor will dazu anregen, sich zu engagieren und über gangbare Wege zu diskutieren. Er zeichnet die Möglichkeit von einer Revolution als eine Bewegung von unten auf, die vielleicht auch einen Generalstreik für ihre Umsetzung benötigt. 

Viele der Fakten, die im Buch erwähnt werden, sind uns eigentlich bewusst. Einen umsetzbaren Plan haben wir aber nicht parat. Alleine schon deshalb ist es sehr empfehlenswert, Peter Staubs Vorschlag zu lesen, ernst zu nehmen und zu diskutieren. 

Nur was nennbar ist, wird denkbar und dadurch machbar.
Also los! 


Michela Seggiani ist Grossrätin und Erziehungsrätin der SP in Basel-Stadt.